Neue Wege der stationären Kinder- und Jugendhilfe

Die Fachtagung „Spurwechsel“, zu der Jugend am Werk Steiermark in den Steiermarkhof geladen hatte, begab sich zusammen mit renommierten Expert*innen aus dem In- und Ausland und rund 250 Besucher*innen auf Suche nach neuen Wegen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Tenor der Fachleute: die stationäre Kinder- und Jugendhilfe braucht einen Spurwechsel und mehr Flexibilität.

(Graz, 25.04.2024) Es braucht innovative Ansätze und Ideen für individuelle Angebote und verstärkte Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Dazu sind Verantwortungsgemeinschaften und Risikopartnerschaften aller Helfersysteme nötig, um dem gesellschaftlichen Wandel und den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen besser Rechnung zu tragen. „Die große Anzahl an Tagungsteilnehmer*innen bestätigt das hohe Interesse an fachlichem Austausch in der Kinder- und Jugendhilfe, um Kinder und Jugendliche weiterhin bestmöglich zu begleiten“, erläutert Jugend am Werk Steiermark-Geschäftsführerin Sandra Schimmler. „Ziel der Fachtagung ‚Spurwechsel‘ ist die Entwicklung einer gemeinsamen Perspektive, welche Haltungen und methodisches Handeln es braucht, um die Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen und Familien zu verstehen, sie wahrzunehmen, sie an Hilfsprozessen intensiver zu beteiligen und daraus ein passendes methodische Handeln abzuleiten“, so Schimmler.

Denn die aktuellen Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe sind breitgefächert. Oft passen bestehende Angebote der Kinder-Jugend-Hilfe nicht zu den Bedürfnissen der Betroffenen. Es geht um die entscheidende Frage, was haben Kinder und Jugendliche für gute Gründe, sich teilweise so „verrückt“ zu verhalten, erläuterte Mathias Schwabe von der Evangelischen Hochschule Berlin. In seinem Vortrag stellte er anhand von Beispielen jene fünf Faktoren vor, die er als ursächlich dafür identifiziert hat. Dazu gehören laut Schwabe unter anderem etwa die Kooperationsqualität, also das Zusammenarbeiten mit allen in den Fall Involvierten, und die Strukturqualität der Einrichtungen.

Ulla Peters, emeritierte Professorin für Soziologie an der Universität Luxemburg, spürte in ihrem Vortrag paternalistischen Elementen in der Kinder- und Jugendhilfe nach. Sie gab Denkanstöße, wie gelebte Partizipation aussehen könnte und wie es gelingen kann, das Erleben der Kinder und Jugendlichen zur Sprache zu bringen. Ein Ansatz, dem Helene Grasser, Bereichsleiterin Kinder, Jugend und Familien bei Jugend am Werk Steiermark, zustimmt: „Das Wahr-nehmen und damit Ernstnehmen der Bedarfe und auch aller Möglichkeiten und Ressourcen von Kindern, Jugendlichen und deren Familien muss Ausgangspunkt der Unterstützungsplanung sein. Das erfordert Mut, weil sich damit Angebote anders als bisher gestalten“, so Grasser.

Werner Nuber stellte mit JuMeGa (Junge Menschen in Gastfamilien) ein alternatives Konzept aus Deutschland vor, das jungen Menschen mit Belastungen, für die bisherige Jugendhilfemaßnahmen nicht den geeigneten Rahmen bieten konnten, durch ein neues Umfeld in einer milieunahen Gastfamilie zu Stabilität und Selbstvertrauen verhelfen will. JuMeGa versteht sich als kreatives, auf den jeweiligen jungen Menschen zugeschnittenes Angebot, das die Angebotspalette der Jugendhilfe erweitert.

In der anschließenden Podiumsdiskussion, die unter dem Titel „Quo vadis Kinder- und Jugendhilfe“ stand, brachten mit Ingrid Krammer (Leiterin des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Graz), Markus Kraxner (Bezirkshauptmann Leoben und Sprecher Kinder- und Jugendhilfe der steirischen Bezirkshauptleute), Christian Vohl (Projektleiter „Systemsprenger*innen“ bei Jugend am Werk Steiermark) und Elisabeth Pilch (Koordinatorin 4 Raum Flexible Hilfen im Rahmen der stationären Betreuungsleistungen) Behördenvertreter*innen sowie Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis ihre Erfahrungswerte ein und besprachen mögliche gangbare Zukunftsperspektiven: eine Systemänderung für eine integrierte, flexible ambulante und stationären Kinder- und Jugendhilfe in der Steiermark. Dafür ist einiges auf einem guten Weg, für anderes braucht es Mut, neue Wege zu beschreiten, um den Spurwechsel vorzunehmen.

Dem fachlichen Austausch folgte eine Feier zum 30-jährigen Bestandsjubiläum der Kriseninterventionsstelle tartaruga von Jugend am Werk. Diese bietet Jugendlichen Schutz sowie Beratung und Betreuung und begleitet Jugendliche und Familien, die sich in einer Krisensituation befinden. www.jaw.or.at

©Jugend am Werk Steiermark/Mörtl

Ulla Peters (Universität Luxemburg), Walerich Berger (Geschäftsführer Jugend am Werk Steiermark), Ingrid Krammer (Leiterin des Amtes für Jugend und Familie der Stadt Graz), Mathias Schwabe (Evangelische Hochschule Berlin), Doris Kampus (Soziallandesrätin), Werner Nuber (Jugendhilfe der Arkade e. V. Ravensburg) und Sandra Schimmler (Geschäftsführerin Jugend am Werk Steiermark)

Über den Autor

Dr. Rainer Hilbrand
Medieninhaber u. Geschäftsführer

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: (c) arf.at