VCÖ-Fachkonferenz: Verkehrssystem muss viel stärker an den demographischen Wandel angepasst werden
In der Steiermark war im Vorjahr jeder dritte Verkehrstote 65 Jahre oder älter, bei den tödlich verletzten Fußgängerinnen und Fußgängern betrug der Anteil der Seniorinnen und Senioren sogar 64 Prozent, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt. Dabei ist Gehen, aber auch Radfahren als gesunde Mobilität für ältere Menschen besonders wichtig. Das Verkehrssystem muss viel stärker an den demographischen Wandel angepasst werden, wurde bei der heutigen VCÖ-Fachkonferenz betont.
Steiermarks Bevölkerung wird älter. In den kommenden 20 Jahren wird sich die Zahl der über 85-Jährigen auf 79.000 fast verdoppeln, die Zahl der Generation 65 plus um 104.000 auf 388.000 ansteigen, weist der VCÖ auf die Daten der Statistik Austria hin. “In der Verkehrsplanung wird auf ältere Menschen zu wenig Rücksicht genommen. Und das spiegelt sich leider auch in der Unfallstatistik wider. Ältere Menschen sind besonders gefährdet, tödlich verletzt zu werden. Umso wichtiger sind unfallvermeidende Maßnahmen”, stellte VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky fest.
Während die Seniorinnen und Senioren an den im Vorjahr in der Steiermark bei Verkehrsunfällen Verletzten einen Anteil von rund 14 Prozent hatten, ist ihr Anteil an den Verkehrstoten mit 36 Prozent mehr als doppelt so hoch. Mit zehn weisen Pkw-Insassen die höchste Anzahl an älteren Verkehrstoten auf, am zweithöchsten ist die Anzahl älterer Verkehrstoten bei Fußgängerinnen und Fußgängern mit sieben, wie die VCÖ-Analyse zeigt. “Damit waren zwei Drittel der tödlich verletzten Fußgängerinnen und Fußgänger älter als 65 Jahre. Durch Verkehrsberuhigung, mehr Tempo 30 statt 50 im Ortsgebiet, übersichtliche Straßenübergänge und ein dichtes Netz an breiten Gehwegen kann die Verkehrssicherheit älterer Menschen deutlich erhöht werden”, betont VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky. Eine ältere Person verunglückte mit dem E-Bike tödlich, mit herkömmlichen Fahrrädern gab es keinen tödlichen Unfall. Für die Verkehrssicherheit älterer Radfahrerinnen und Radfahrer sind baulich getrennte Radwege besonders wirksam.
Wie wichtig bewegungsaktive Mobilität für die Gesundheit von Seniorinnen und Senioren ist, betonte die Wissenschaftlerin Sylvia Titze von der Universität Graz in ihrem Vortrag. Die Anzahl der gesunden Lebensjahre ist in Österreich zuletzt gesunken. Bei den Männern von rund 66 Jahren im Jahr 2014 auf 63 Jahre im Jahr 2019, bei den Frauen im gleichen Zeitraum von rund 67 auf rund 65 Jahre. Bei den über 60-Jährigen haben bereits 85 Prozent zwei bis drei chronische Erkrankungen gleichzeitig, wie etwa Bluthochdruck, chronische Kreuzschmerzen oder Arthrose. Möglichst häufig zu Fuß oder mit dem Fahrrad mobil sein statt im Auto zu sitzen stärkt die Gesundheit. Titze: “Mit aktiver Mobilität pflegt man die körperliche Fitness und bleibt zudem in Kontakt mit der Natur und den Menschen”.
Brigitte Wotha von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Kiel machte in ihrem Vortrag auf die zentrale Rolle der Raumordnung für die Mobilität älterer Menschen aufmerksam. Die Stärkung der Ortskerne statt Zersiedelung ermöglicht es älteren Menschen länger selbständig mobil zu sein, weil sie viele Erledigungen zu Fuß oder mit dem Rad machen können. “Die Mobilitätsplanung muss verstärkt die Bedürfnisse älterer Menschen und insbesondere älterer Frauen berücksichtigen, um ihnen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.”
Im hohen Alter steigt beim Autolenken aufgrund von gesundheitlichen Beeinträchtigungen das Risiko, Unfälle zu verursachen. Im Vorjahr verursachten in Österreich über 85-jährige Pkw-Lenkende 83 Prozent der Unfälle, an denen sie beteiligt waren und die 80- bis 84-Jährigen 77 Prozent der Unfälle, wie Daten der Statistik Austria zeigen. Auch bei den 75- bis 79-jährigen Autolenkenden ist der Anteil der Unfallverursacher mit 67 Prozent überdurchschnittlich hoch. Zum Vergleich: Die 40- bis 59-jährigen Autolenkenden verursachten rund 50 Prozent der Unfälle, an denen sie beteiligt waren. In Deutschland führen einige Verkehrsverbünde die Aktion “Fahrschein statt Führerschein” durch, bei der der Führerschein ein Jahr lang gegen ein Jahresticket für den Öffentlichen Verkehr eingetauscht werden kann. Im Großraum Hannover nahmen im dreieinhalbjährigen Projektzeitraum 8.300 Personen am Projekt teil, 92 Prozent davon waren älter als 70 Jahre. Acht von zehn hatten vorher keine Jahreskarte, die Hälfte davon verlängerte ihre Jahreskarte, berichtete Ulf Mattern vom Großraum-Verkehr Hannover. “Dieses Modell könnte Österreich mit dem Klimaticket gut umsetzen. Damit würde die Verkehrssicherheit erhöht und gleichzeitig die Verkehrsbelastung auf den Straßen reduziert”, betont VCÖ-Expertin Katharina Jaschinsky.
In den Niederlanden fördert das Infrastrukturministerium mit der Initiative “Doortrappen” (Weitertreten) das Radfahren bei Seniorinnen und Senioren. Ziel ist, dass ältere Menschen möglichst lange sicher Radfahren können, denn: “Radfahren sorgt dafür, dass Senioren länger gesund, sozial und selbständig bleiben”, erklärte Juul van Rijn vom niederländischen Infrastrukturministerium. Ein entscheidender Faktor ist ein dichtes Netz an sicheren Radwegen. Zudem sind in den Niederlanden Fahrräder, die mit drei Rädern Stabilität geben und damit Stürze vermeiden, weit verbreitet.







