Der Übertitel der „Festivaltage“ im Gabillonhaus, „Die Arche am Grundsee“, lautete: Dunkle und helle Stunden.
Am Montag, dem 4. August, war der Abend Edith Stein gewidmet. Edith Stein, geboren am 12. Oktober 1891, war Jüdin und trat 1933 im Karmel Köln als Karmelitin ein. Ihre Mutter fragte damals: „Was willst du bei den Schwestern? Man kann doch auch als Jüdin fromm sein!“ Edith Stein war Philosophin und Frauenrechtlerin. In ihrem Leben spiegeln sich die Aufbrüche und Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Sie war als Jüdin geboren, später Atheistin, schließlich Christin – und vor allem ein außergewöhnlicher Mensch: intellektuell, fragend, vortragend, eine vorbildliche Pädagogin und eine selbstlose, sensible, bescheidene Frau.
Ihre Dissertation schrieb sie über das Thema Einfühlung. Bei ihr bedeutete Erkenntnis auch: fühlen, spüren. Dieses Spüren für die Wahrheits- und Sinnsuche haben die Protagonisten des Abends – Adelheid Picha (wunderbar als Edith Stein), Hubert Gaisbauer (als sensibler, wissender Lebensbild-Erzähler), Johannes Daxner (als sachlicher Beschreiber damaliger Tatsachen) und Anna Mittermeier – mit ganz geringem Aufwand, aber maximaler Wirkung umgesetzt.
Wie man Gefühle, Seelenzustände, Alltagssituationen und Textinhalte musikalisch transportieren kann – kreativ und ausdrucksstark am Instrument, nämlich an der Bassgeige: mal streichelnd, mal verzweifelnd, mal erschütternd, mal zweifelnd –, das gelang Anna an diesem Abend sensationell.
Edith Stein erkannte früh, dass das Ausgeschlossensein durch Repressionen ein großer Verlust für die Persönlichkeitsentwicklung ist – und litt darunter. Was kann man von ihr lernen? Dass man aufeinander hört – und in sich selbst hinein. Sie selbst sagte zu ihrem Lebensweg: „Mein Geheimnis bleibt bei mir.“ Sie war ein bedeutendes Vorbild: als Frau, Pädagogin und Suchende nach einer geistigen Heimat. Fein und still, ohne viele Worte, aus innerer Überzeugung lebte sie ihren Weg und zweifelte nie an ihrem Glauben an Gott.
Sie starb im August 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau. Der Abend entsprach ganz dem Übertitel: Dunkle und helle Stunden. Im bis auf den letzten Platz gefüllten Kommunikationssaal war es 1½ Stunden lang mucksmäuschenstill.

© Doris Bittmann